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Messprozesseignung

Vereinbarung zwischen Abnehmer und Lieferant

Grundsätzlich geht es bei der Überprüfung der Messprozesseignung um einen Vergleich der erzielbaren (merkmalsabhängigen) Messunsicherheit mit der ebenfalls merkmalsbezogenen Toleranz. Ein ähnliches Vorgehen wird in den oben schon erwähnten Werksnormen beschrieben. In VDI/VDE 2617 Blatt 8 werden speziell für Koordinatenmessgeräte Verfahren zur Messunsicherheitsbestimmung und zur Bewertung der Messprozesseignung erläutert und die drei Verfahren »Messunsicherheitsbudget«, »Simulation« und »Messen kalibrierter Werkstücke« unter dem Gesichtspunkt der Prüfprozesseignung (auch Messprozesseignung) beschrieben. Hierbei erfolgt im Grunde der Vergleich der Messunsicherheit mit der Merkmalstoleranz. Zur Gewährleistung der Messprozesseignung muss die Messunsicherheit deutlich kleiner sein als die jeweilige Maßtoleranz. Aus wirtschaftlichen Gründen wird häufig als Voraussetzung für die Eignung des Messprozesses ein Verhältnis von 1:10 gefordert. Bei Maßen mit sehr enger Toleranz müssen jedoch mitunter wegen der mangelnden Realisierbarkeit dieses Verhältnisses Abstriche akzeptiert und für manche Anforderungen auch schärfere Kriterien eingesetzt werden.

Messunsicherheit berücksichtigen

Durch diese Forderungen will man vermeiden, Teile freizugeben, die außer Toleranz sind, oder Teile zu verwerfen, die in Toleranz sind. Um an den Toleranzgrenzen keine Fehlentscheidungen zu treffen, muss die jeweils vorhandene Messunsicherheit berücksichtigt werden. Die Vorgehensweise hierfür wird in zahlreichen Beiträgen [14] und der ISO-Norm 14253 behandelt.

Im oberen Teil der Abbildung 69 sind die Zusammenhänge für die Bestimmung der verbleibenden Toleranz für den Lieferanten (auch unternehmensinterne Lieferanten) dargestellt, ausgehend von der spezifizierten Toleranz TS und der Messunsicherheit der Messmittel. Im allgemeinen Fall wird die spezifizierte Toleranz zur Grundlage des Liefervertrags und könnte somit auch als Vertragstoleranz TV bezeichnet werden. Im Sinne der Produktqualität gelten die nachfolgend dargestellten Zusammenhänge auch für interne Fertigungseinheiten. Soll mit Sicherheit vermieden werden, dass nicht toleranzhaltige Teile freigegeben werden, muss die verbleibende Toleranz um die Messunsicherheit eingeschränkt werden.

Dies sollte nach einer vorausgegangenen Abschätzung dieser Messunsicherheit für jedes Merkmal durch Änderung der Zeichnungstoleranzen in den Prüfplänen erfolgen. Bei geringer Qualität der Messtechnik müssen daher die Fertigungstoleranzen TL stark eingeschränkt und dadurch höhere Anforderungen an die Stabilität und Genauigkeit des Fertigungsprozesses gestellt werden. Die zusätzlichen Fertigungskosten können Mehrkosten für den Kauf eines modernen Koordinatenmessgeräts deutlich übersteigen.

Im unteren Teil von Abbildung 69 ist der entsprechende Zusammenhang für den Abnehmer dargestellt. Dieser kann eine Ware nicht zurückweisen, die nur um den Wert der Messunsicherheit seiner eigenen Wareneingangskontrolle außerhalb der Toleranz liegt. Das bedeutet, dass die Toleranz für die Annahme TA ausgehend von der spezifizierten Toleranz um die Messunsicherheit vergrößert werden muss. Dieser Aspekt hat erhebliche Konsequenzen. Der Abnehmer hat bei dieser Vorgehensweise die Wahl, Teile an der Toleranzgrenze abzunehmen und gleichzeitig für die weitere Verwendung zu verwerfen oder Teile außer Toleranz freizugeben, da die Abnahmetoleranz nicht der spezifizierten Toleranz entspricht. Man verstößt dadurch entweder gegen die Forderung nach Wirtschaftlichkeit oder gegen eine verantwortungsbewusste Qualitätssicherung. Die Ursache hierfür liegt darin, dassals Vertragstoleranz einfach die spezifizierte Toleranz ohne Berücksichtigung der Messunsicherheit verwendet wird.

Messunsicherheit berücksichtigen
<p>Abb. 69: Einfluss der Messunsicherheit auf die verbleibende Toleranz: T<sub>S</sub> spezifizierte Toleranz; T<sub>V</sub> Vertragstoleranz; U<sub>L</sub> Unsicherheit des Lieferantenmessgeräts; T<sub>L</sub> Toleranz zur Lieferfreigabe; U<sub>A</sub> Unsicherheit des Messgeräts in der Warenannahme; T<sub>A</sub> Toleranz für die Freigabe der Warenannahme von gelieferten Teilen; A Auch Teile mit Istwert innerhalb der spezifizierten Toleranz müssen wegen der Messunsicherheit durch den Lieferanten verworfen werden. B Auch Teile mit Istwert außerhalb der spezifizierten Toleranz müssen wegen der Messunsicherheit durch den Abnehmer akzeptiert werden, obwohl sie nicht verwendet werden dürfen. T<sub>A</sub> und T<sub>S</sub> stehen im Widerspruch. Die Zahlenbeispiele dienen der Veranschaulichung.</p>

Varianten zur Berücksichtigung der Messunsicherheit

Um zu vermeiden, je nach Art des Entscheidungsprozesses mit »zweierlei Maß« für die Zeichnungstoleranz zu arbeiten, sollte die Behandlung der Messunsicherheit zwischen Abnehmer und Zulieferer nach einem der folgenden Verfahren geregelt werden:

  • Abnehmer und Lieferant einigen sich auf eine einmalige Prüfung. Man geht davon aus, dass nur toleranzhaltige Teile geliefert werden bzw. die Messprotokolle sind Bestandteil der Lieferung. Eine zusätzliche Wareneingangskontrolle beim Abnehmer entfällt.
  • Zwischen Abnehmer und Lieferant wird eine von der spezifizierten Toleranz verschiedene Vertragstoleranz [14] vereinbart, die auch die Messunsicherheit des Abnehmers berücksichtigt.

Der Verzicht auf eine Wareneingangskontrolle legt die Verantwortung für die Teilequalität und deren Auswirkungen auf das Endprodukt vollständig in die Hände des Zulieferers. Die Klärung der hiermit im Zusammenhang stehenden Haftungsfragen ist dann von hoher Bedeutung.

Vereinbarung einer Vertragstoleranz …

Abbildung 70 zeigt die Definition einer Vertragstoleranz. Um die Verständlichkeit zu erleichtern, wird lediglich ein Beispiel für ein konkretes Merkmal bei Einsatz je eines Messgerätetyps bzw. je einer Messunsicherheit erläutert. Die Vertragstoleranz wird für das entsprechende Merkmal ermittelt, indem die spezifizierte Toleranz um die Messunsicherheit des Abnehmers eingeschränkt wird (Abb. 70 links: UA). Der Lieferant muss diese Vertragstoleranz wegen seiner Messunsicherheitweiter auf die Toleranz zur Lieferfreigabe einengen (Abb. 70 links: UL). Es ergibt sich somit folgende Toleranzkette:

TV = TS − UA

TL = TV − UL

Vereinbarung einer Vertragstoleranz …
<p>Abb. 70: Vertragstoleranz: T<sub>A</sub> Toleranz für die Freigabe der Waren annahme von gelieferten Teilen; T<sub>S</sub> spezifizierte Toleranz; U<sub>A</sub> Unsicherheit des Messgeräts in der Warenannahme des Abnehmers; T<sub>V</sub> Vertragstoleranz; U<sub>L</sub> Unsicherheit des Fertigungsmessgeräts des Lieferanten; T<sub>L</sub> Toleranz zur Lieferfreigabe; A Auch Teile mit Istwert innerhalb der Vertragstoleranz müssen wegen der Messunsicherheit U<sub>L</sub> durch den Lieferanten verworfen werden. B Teile mit Istwert außerhalb der Vertragstoleranz müssen wegen der Messunsicherheit durch den Abnehmer verworfen werden. C Teile mit Istwert außerhalb der spezifizierten Toleranz sind sicher außerhalb der Toleranz und ebenfalls zu verwerfen. T<sub>A</sub> und T<sub>S</sub> fallen zusammen. Die Zahlenbeispiele dienen der Veranschaulichung.</p>

… schafft eindeutige Verhältnisse

Durch diese Vorgehensweise können die Messunsicherheiten des Lieferanten und Abnehmers bei der Prüfung bezogen auf die Vertragstoleranz berücksichtigt werden. Im ungünstigsten Fall ergibt sich für den Lieferanten wieder der Wert der Toleranz zur Lieferfreigabe, für den Abnehmer die spezifizierte Toleranz als Toleranz für die Abnahme (Abb. 70 rechts: UA bzw. UL). Es wird vermieden, dass der Abnehmer Teile akzeptieren muss, die außerhalb der Spezifikation und somit nicht verwendbar sind, da die Toleranz für die Abnahme und die spezifizierte Toleranz identisch sind. So können eindeutige Vertragsbedingungen sichergestellt werden.