Messunsicherheit

Jede Messung von Maßen an Werkstücken wie Länge, Winkel, Radius, Form und Lage ist mit einer Messunsicherheit behaftet. Der gesamte Messprozess mit Gerätetechnik, Teileeigenschaften, Geometrie der Merkmale, Umwelt und Bediener hat Einfluss auf die Größe dieser Messunsicherheit.
Bei realen Messungen geht insbesondere die Geometrie der Merkmale in das Ergebnis ein. So kann bei gleicher Gerätetechnik z. B. der Radius eines Kreissektors wesentlich ungenauer gemessen werden als der eines Vollkreises. Beim Messen von Winkeln oder Achsrichtungen geht die Länge der Schenkel direkt in die Messunsicherheit ein (Abb. 54).

Abb. 54: Abhängigkeit der Messunsicherheit von der Geometrie der Merkmale: a) Vergleich von Radius- und Durchmessermessung bei Kreissektor und Vollkreis; b) Winkelmessung bei unterschiedlichen Schenkellängen; c) Lagetoleranz bei unterschiedlichen Bezugslängen. Verbesserungs-möglichkeiten durch angepasste Tolerierung: a) Linienform mit Bezugsmaß; b) Formabweichung; c) Achse durch beide Zylinder.

Weitere Teileeigenschaften wie Form, Rauheit und Verschmutzung haben zusätzlichen Einfluss. Bei Multisensor-Koordinatenmessgeräten sind neben anderen Geräteeigenschaften die Parameter der Sensoren besonders wichtig für die erzielbare Messunsicherheit. Gegliedert nach fünf wichtigen Sensortypen fasst die Tabelle 1 zusammen, welche Parameter die Messabweichung des Geräts bzw. die Messunsicherheit des Gesamtprozesses beeinflussen.

Tab. 1: Sensorparameter, die die erzielbare Messunsicherheit beeinflussen.

Es gibt verschiedene Methoden, die Messunsicherheit zu bestimmen [6]: Werden nur Längenmaße gemessen, ist es möglich, die spezifizierte Längenmessabweichung MPEE (Maximum Permissible Error) zur Abschätzung heranzuziehen. Dieser Wert stellt allerdings keine Unsicherheit dar, mit ihm wird vielmehr nur ein spezieller Fall betrachtet. Verbesserungen der Ergebnisse z. B. durch Messung vieler Punkte und rechnerische Besteinpassung werden nicht berücksichtigt, ebenso wie der negative Einfluss der Eigenschaften des Messobjekts. Entsprechend dem Leitfaden zur Abschätzung der Unsicherheit (GUM) ist die Messunsicherheit durch eine mathematische Überlagerung der einzeln abgeschätzten Fehleranteile zu bestimmen (Fehlerbudget). Hierauf bauen die im Folgenden beschriebenen Verfahren auf.
Für einen Teilbereich der taktilen Koordinatenmesstechnik kann die Messunsicherheit durch rechnerische Simulation abgeschätzt werden (virtuelles Koordinatenmessgerät). Dieses Verfahren ist in der Norm ISO 15530-4 beschrieben. Für optische und Multisensor-Koordinatenmessgeräte ist es noch nicht verfügbar, da die Fehlersimulation für die optische Sensorik noch nicht beherrscht wird.

In der Norm ISO 15530-3 ist ein Verfahren zur Bestimmung der Messunsicherheit durch Messung kalibrierter Werkstücke beschrieben. Mit diesem Verfahren können auch Korrekturwerte ermittelt werden (Substitutionsmethode), mit denen der systematische Anteil der Messunsicherheit deutlich reduziert werden kann. Üblich ist dies z. B. beim Messen von Lehren und Wellen.
Nicht berücksichtigt bleibt bei diesem Verfahren der Einfluss sich ändernder Oberflächeneigenschaften der Werkstücke wie die Lage der Bearbeitungsspuren, die Farbe und der Reflexionsgrad. Hierfür ist ein Test an realen Teilen noch immer die sicherste Methode. Dieses Verfahren wurde bisher häufig eingesetzt, um die Messunsicherheit als Ganzes abzuschätzen. Es ist in zahlreichen Werksnormen beschrieben und unter dem Begriff »Messgerätefähigkeitsanalyse« eingeführt. Durch repräsentative Messungen wird sowohl die Reproduzierbarkeit getestet als auch an einzelnen extern kalibrierten Teilen die Rückführbarkeit der Messung überprüft. Die Bestimmung der Reproduzierbarkeit der Messung erfolgt dadurch, dass verschiedene Teile gleicher Art (typische Vertreter) mehrfach gemessen werden und gemeinsam zur Auswertung kommen. Es können so sowohl Umwelteinflüsse als auch Einflüsse des Messobjekts selbst (Oberfläche, Farbe) sowie Einflüsse durch den Bediener (Ein- und Ausspannen) zusammen mit den zufälligen Fehlern des Messgeräts untersucht werden. Um einen Gesamtbetrag für die Messunsicherheit zu erhalten, sind jedoch während der Testphase nicht berücksichtigte Einflussparameter wie z. B. langfristige Temperaturschwankungen zusätzlich abzuschätzen. Bei Multisensor-Koordinatenmessgeräten ist es ersatzweise auch möglich, das Kalibrieren der Teile durch Messen mit hochgenauen Sensoren (z. B. mit dem Werth Fasertaster) auf demselben Koordinatenmessgerät zu ersetzen. So können die systematischen Messabweichungen von z. B. optischen Messungen überprüft werden.