mehr erfahren

Spezifikation und Annahmeprüfung

Vergleichbarkeit und Rückführung

Die wichtigste Eigenschaft eines Koordinatenmessgeräts ist sein Beitrag zur erzielbaren Messunsicherheit in einem Messprozess. Der Anwender muss zur Geräteauswahl verschiedene Geräte miteinander vergleichen, Einkaufsbedingungen definieren und die Funktion kontrollieren können.

Vergleichbarkeit der Geräte

In der Normenreihe DIN EN ISO 10360 [10] und den Richtlinien der VDI/VDE 2617 werden hierfür Spezifikationen definiert und Verfahren beschrieben, diese zu überprüfen. Im Prinzip konzentriert sich die Überprüfung von Koordinatenmessgeräten auf zwei Kenngrößen: die Antastabweichung und die Längenmessabweichung.

Antastabweichung

Die Prüfung der Antastabweichung (Grenzwert MPE P: Maximum Permissible Probing Error) dient zur Charakterisierung des Verhaltens der verwendeten Sensoren und der Reproduzierbarkeit einer Messung innerhalb eines kleinen Teilmessbereichs des Koordinatenmessgeräts. Hierzu wird eine kalibrierte Kugel mit einer vorgegebenen Anzahl von Messpunkten gemessen, die Spanne der Einzelpunkte um das Ausgleichselement Kugel ermittelt und mit dem Grenzwert PF (neue Schreibweise P Form) verglichen. Die Differenz des aus den Punkten ermittelten Kugeldurchmessers zum kalibrierten Kugeldurchmesser ergibt den Istwert für PS (neue Schreibweise P Size). Für Punktsensoren mit Scanningfunktion sind in ähnlicher Weise zwei weitere Kennwerte definiert. Durch Scannen mehrerer Schnitte einer Kugel mit vordefinierter Bahn wird THP (neue Schreibweise PForm.Sph.Scan:PP:Tact − PP: predefined path) oder ohne vordefinierte Bahn THN (neue Schreibweise PForm.Sph.Scan:NPP:Tact − NPP: not pre-defined path) an der Kugel gemessen. Die Auswertung erfolgt analog der Antastabweichung. Diese Kenngrößen sind bisher nur für taktile Sensoren definiert (DIN EN ISO 10360 Teil 4, wird integriert in Teil 5).

Eigenschaften der Geräte …

Die erzielbare Antastabweichung wird durch die Reproduzierbarkeit des Geräts (Auflösung der Maßstäbe, Schwingungsverhalten) und bei unterschiedlichen Sensoren durch verschiedene sensorspezifische Einflussfaktoren bestimmt. Die Antastabweichung beim Einsatz taktiler Sensoren (DIN EN ISO 10360 Teil 5) wird vorrangig durch die Sensoreigenschaften Tastkugelform, Schaftdurchbiegung sowie Nichtlinearitäten und Umkehrspiele der Sensormechanik beeinflusst.

… und der Sensoren

Die Besonderheiten bei der Prüfung optischer Sensoren werden in VDI/VDE 2617 Blatt 6.1 und 6.2 sowie in DIN EN ISO 10360 Teil 7 und 8 beschrieben. Bei optischen Sensoren wird die Antastabweichung durch die Sensorauflösung, die optische Vergrößerung der Objektive, die Schärfentiefe beim Messen mit dem Autofokus und, im Fall von Abstandssensoren, z. B. auch durch den Reflexionsgrad der Materialoberfläche beeinflusst. Während das Kugelnormal mit taktilen Sensoren bidirektional von allen Seiten angetastet werden kann, ist bei manchen optischen Sensoren nur ein unidirektionales Antasten möglich. Um auch ein bidirektionales Antasten zu ermöglichen, kann ein Dreh-Schwenk-Gelenk eingesetzt werden. Dieses beeinflusst dann ebenfalls die Antastabweichung.

Das entsprechende Verfahren für die Überprüfung von Koordinatenmessgeräten mit Röntgentomografie wird in VDI/VDE 2617 Blatt 13 beschrieben (Abb. 64, s. auch [8]). Hier beeinflussen die gewählte Vergrößerung, die Brennfleckgröße, die eingestellte Spannung und der Strom der Röntgenröhre sowie andere Parameter das Ergebnis. Besonders hervorzuheben ist, dass das Material der eingesetzten Kugel wegen der prinzipbedingten Durchdringung durch die Röntgenstrahlung ebenfalls wesentlichen Einfluss auf die Antastabweichung hat. Die Materialauswahl wird deshalb vom Gerätehersteller abhängig vom Gerätetyp beschränkt oder festgelegt.

… und der Sensoren
<p>Abb. 64: Bestimmung der Antastabweichung (P) durch Kugelmessung: Die angegebenen Zahlenwerte beziehen sich auf die normenkonforme Messung mit 25 Punkten. In der Grafik ist zusätzlich das Ergebnis für ca. 20 000 Messpunkte veranschaulicht.</p>

Längenmessabweichung

Um die Eigenschaften des Koordinatenmessgeräts möglichst vollständig zu bestimmen, sind auch Messungen unter weitgehender Ausnutzung des Gerätemessbereichs erforderlich. Hierdurch werden insbesondere die mechanischen Führungsabweichungen bzw. die Qualität der Softwaregeometriekorrektur und die temperaturbedingte längenabhängige Messabweichung erfasst.

Temperatur und Länge

Die Längenmessabweichung (Grenzwert MPE E: Maximum Permissible Error of length measurement) wird durch Messung fünf unterschiedlich langer Normale (größte Länge mindestens 66 % des Gerätemessbereichs) für sieben verschiedene Raumlagen überprüft. Die Werte der Längenmessabweichung sind wesentlich von der gemessenen Länge abhängig. Weil die Gerätegeometrie heute oft sehr gut korrigiert ist, liegen die Ursachen insbesondere im Temperatureinfluss (s. S. 119 ff.). Die Grenzwerte werden deshalb sinnvollerweise linear abhängig von der Messlänge (L) dargestellt (Abb. 65). Das konstante Glied (K) beschreibt praktisch die Reproduzierbarkeit.

Temperatur und Länge
<p>Abb. 65: Darstellung der Ergebnisse der Annahmeprüfung der Längenmessabweichung − Beispiel MPE E: (0,25 + L/600) µm; L in mm</p>

Betriebsparameter beachten

Abhängig von den verwendeten Sensoren können verschiedene Arten von Längennormalen verwendet werden. Die Messergebnisse hängen unter Umständen stark von den eingestellten Parametern des Geräts (z. B. Antastgeschwindigkeit, Filter) und der Sensoren (z. B. Röntgenparameter, Lichteinstellungen bei Bildverarbeitung) ab. Bei allen Überprüfungen ist daher darauf zu achten, dass die im Datenblatt spezifizierten Parameter eingestellt werden. Bei Abweichungen sind zusätzliche Beiträge zur Antast- bzw. zur Längenmessabweichung oder auch günstigere Werte zu erwarten.

Taster: Stufenendmaße

Bei taktilen Sensoren wird die Längenmessabweichung durch Messung von Längen an Parallel- oder Stufenendmaßen (DIN EN ISO 10360 Teil 2, VDI/VDE 2617 Blatt 2.1) geprüft. In der 2009 neu erschienenen Fassung der DIN EN ISO 10360 werden zudem zwei neue Kenngrößen definiert. Zur Beurteilung der Verdrehung um die vertikale Achse wird die Längenmessabweichung zusätzlich mit einem Taster bestimmt, dessen Tastkugelmitte einen seitlichen Abstand von 150 mm zur Pinolenachse aufweist. Zudem wird mit der Wiederholspanne der Längenmessabweichung für jeweils drei Messungen eine zusätzliche Kenngröße für die Reproduzierbarkeit definiert.

Bildverarbeitung: Glasmaßstäbe

Zur Überprüfung der Längenmessabweichung mit Bildverarbeitungssensoren werden die Endmaße durch Maßstäbe aus Glas mit Strichen aus aufgedampftem Chrom ersetzt (DIN EN ISO 10360 Teil 7, VDI/VDE 2617 Blatt 6.1). Die Messung erfolgt vorzugsweise analog zur Messung des Stufenendmaßes bidirektional, um den Einfluss von Umkehrspiel und Kantendetektionsverfahren zu erfassen. Die räumlichen Messungen der Längenmessabweichung sind dringend zu empfehlen, wenn im praktischen Einsatz der Messgeräte dreidimensional gemessen werden soll.

Abstandssensoren und CT: Mehrkugelnormale

Bei Abstandssensoren (Punkt-, Linien- und Flächensensoren) ist das eigentlich sinnvolle bidirektionale Antasten ohne Einsatz von Dreh-Schwenk-Gelenken nicht möglich. In diesem Fall können nach DIN EN ISO 10360 Teil 8 und VDI/VDE 2617 Blatt 6.2 Kugelplatten oder Kugelstäbe herangezogen werden. Um die Vergleichbarkeit zu taktilen Messungen an Endmaßen zu gewährleisten, ist jedoch bei dieser Messmethode eine mathematische Korrektur vorzunehmen. Diese stellt sicher, dass systematische Messabweichungen der Oberflächenpunkte bei der Überprüfung in gleicher Weise wie bei der bidirektionalen Messung von Endmaßen erfasst werden. Solche Abweichungen entstehen z. B. beim vorherigen Einmessen des Sensors (Tastkugeldurchmesser) oder durch Eigenschaften der Sensoren (Kantenortsdefinition bei Bildverarbeitung und Tomografie, Eindringtiefe des Lasers bei Abstandssensoren). Bei der Kugelmessung heben sich diese Einflussfaktoren durch Mittelung zum Teil auf. Die mathematische Korrektur erfolgt durch Addition der Antastabweichung oder der Abweichung zusätzlich bidirektional gemessener kurzer Längen in geeigneter Art und Weise (analog der Vorgehensweise bei Koordinatenmessgeräten mit Röntgentomografie, Abb. 66). Der durch Antastung der Kugeln mit gegebenenfalls vielen Messpunkten erzielte Mittelungseffekt wird so im Ergebnis korrigiert.

Abstandssensoren und CT: Mehrkugelnormale
<p>Abb. 66: Bestimmung der Längenmessabweichung E mit Kugelnormal: a) Mehrkugeldistanznormal für Tomografiegeräte, b) Messung eines Zweipunktdurchmessers D <sub>a1</sub> an einer kalibrierten Kugel (D<sub>r</sub>) zur Realisierung der Bidirektionalität, c) Messung eines Kugelmittelpunktabstands L <sub>a1</sub> an einem kalibrierten Mehrkugelnormal (L<sub>ri</sub>) zur längenund richtungsabhängigen Messung, d) Addition der Durchmesserabweichung zur Abweichung des Abstands der Kugelmittelpunkte in allen normgemäßen Richtungen und Längen</p>

»Genauigkeit« kann nicht spezifiziert werden

Für die Überprüfung von Geräten mit Röntgentomografie [8] werden ähnliche Verfahren angewendet (VDI/VDE 2617 Blatt 13). Weil mit Röntgentomografie Volumina vollständig erfassbar sind, bietet es sich an, dreidimensionale Normale (Abb. 66) zu verwenden. Es ist dann nur noch eine Messung zur Bestimmung der Längen in allen Richtungen notwendig. Die Auswahl des Materials und der Bauform der Normale ist wegen der Durchstrahlungseigenschaften von besonderer Bedeutung. Obwohl die Normen und Richtlinien für die Spezifikation von Koordinatenmessgeräten seit über 20 Jahren angewendet werden, findet man immer wieder Geräte mit falschen Angaben zur Spezifikation. So wird z. B. als »Genauigkeit« die doppelte Standardabweichung angegeben. Derartige Angaben sind in der Regel günstiger als die normgerecht bestimmten Parameter für die Antast- und Längenmessabweichung und sagen nichts über die systematischen Messabweichungen aus.